Fortsetzung "5000 Seemeilen"

entscheide mich für die Weiterfahrt ... zumindest bis zum nächsten Kap. Motor kann oben bleiben ... bei den Böen komme ich locker unter Segel weg hier. Drehe das Boot im richtigen Moment mit der Schnauze gen See ... "Flopp" ... Segel auf Schmetterling ... dass das nun immer so schnell gehen muß Mensch :-) oooohhhhh ... haut mir nicht fast das Boot ab? :-) Kriege gerade noch so das Heck zu fassen und springe auf wie so ein besoffener Cowboy. Kurs: Felsen!!! ...in Sekunden habe ich eins meiner Ruder im Wasser und kann die Havarie gerade noch so abwenden. Der Wind legt zu mit jedem Meter, den ich mich entferne ... die Wellen werden rasanter. Ich rede mit dem Wasser ... irgendwie rede ich immer mit ihm. Seit Masure e Motos Forschungsergebnissen bin ich schließlich auf dem größten Informationsspeicher unseres Planeten unterwegs und fast davon überzeugt, dass es mich hört. "Was ist mit Dir heute Morgen? Schlecht geschlafen? ...gehen wir gemeinsam zum Kap ...komm schon, es geht nur mit Dir zusammen!" Ich versuche immer gut zu sein mit dieser Macht unter mir und belächele fortwährend die Situation, nach einem netten Gespräch hineinpinkeln zu müssen :-)

Der "Ritt" des heutigen Morgens entwickelt sich mit jeder Meile zu einem der härtesten Belastungstests dieser ersten 5000 Seemeilen. Dem vorderen Mast habe ich Gott sei Dank ein Achterstag verpasst ... er wäre mir gnadenlos weggebrochen. Ich bin alleine hier draußen, die vorherrschende Farbe ist grau an diesem Morgen ... alles wirkt sofort etwas bedrohlicher und ich weiß, dass ich in diesem Moment hier eigentlich nichts zu suchen habe. Bin wieder zu schlecht vorbereitet mit meinen Klamotten und in den ersten Minuten schon durchnass. Wie ein ruhiger Indianer denke ich nach über das, was ich hier mache, während das Boot wie ein wildgewordener Hengst durch die Wellen ballert. "Du willst rund Spanien gehen, Andreas? ... Du willst die Biscaya machen, Andreas? ... Dann mach das hier heute und bleib ruhig. Das hier müssen wir drauf haben!!!" Schätze den Wind auf 9 Beaufort direkt vor meinen Hintern ... in den Böen steckt unwahrscheinlich viel Kraft und der vordere Mast halst nach Herzenslust, weil ich den Bug ständig aus den Wellen holen muß. Der Baum bleibt senkrecht im Achterstag hängen und dennoch geht meine Fahrt nicht unter 8 Knoten. Mein Herz schlägt nicht schneller und ich habe keine Angst. Respekt ja, aber ich weiß, dass Angst einem Fehler und ungeahnte Folgen beschert .. im Vorbeirauschen sehe ich eine Flosse oder zumindest etwas, dass aussieht wie eine. Sie schlägt auf dem Wasser hin und her ... scheint zu winken ... kann nicht erkennen, was es ist ... winke zurück. 12 Meilen weiter ... Plopp!!! Innerhalb von 15 Minuten ... 3-2-1...Wind aus!!!
Puuuhhh ... stecke meine Hand ins Wasser und bedanke mich für einen Moment ganz still ...


Annäherung an Domenico

Das "Domenico-Urteil"

Sonntag, der 10. Juni 2012 San Remo
Bin auf meinem Boot beschäftigt mit Arbeiten an der Solaranlage. Der Mann mit Rucksack und freiem Oberkörper, oben auf der Hafenmauer, entgeht meiner Aufmerksamkeit jedoch nicht. Ich sehe ihm etwas nach ... muskulöser geht es kaum, denke ich. Er wirkt fast etwas bedrohlich und scheint auch mich gesehen zu haben, setzt seinen Weg aber fort. "Ein Landstreicher?", denke ich und versinke wieder in meinen Fummelarbeiten. Nur Minuten später ... "Hey" ... kriege einen Schreck ... Der Mann!!! Er steht direkt bei mir an der Kante und sieht zu mir herunter. Er fragt, was ich mache ... antworte nur spärlich ... er geht wieder. Bin jetzt wacher, denn seine Blicke haben alles wahrgenommen ... mein Zelt ... meine Ausrüstung ... alles!!! Wer ist dieser Mann??? Seine Muskeln und sein Gesichtsausdruck sind tatsächlich etwas bedrohlich und ich habe Schwierigkeiten ihn einzuordnen. Etwas später kommen wir nocheinmal kurz ins Gespräch und er fragt mich, an was es mir fehlt. Sonnencreme ist in diesen Momenten das Einzige, was mir spontan in den Kopf kommt, obwohl es mir natürlich an allem fehlt:-) "OK", sagt er und will am folgenden Morgen damit zurückkommen. Kann mit dem Erscheinungsbild dieses Mannes und den gewechselten Worten durch meine Verunsicherung nur wenig anfangen. Habe die Nacht mein Messer im Zelt.

Der Morgen des 11.06.2012
Die Nacht war ruhig ... bin wieder wach geworden wie gewohnt. Simon der Däne hat mir einen Kaffe gemacht ... der Morgen begint ruhig wie immer. Werde die Solarnummer wieder regeln müssen heute. Irgrendwo hat sich das Salzwasser wieder hinein geschlichen. "Guten Morgen..." ertönt es hinter mir mit leicht französischem Unterton. Der Mann von Gestern!!! Es ist Domenico ... ein Mann der unterwegs ist ... doch was er macht trägt keinen Namen. "Bin auf Urlaub" ... sagt er. Anscheinend bereitet es ihm Unbehagen, seine Art des Reisens vor der Gesellschaft zu benennen. Seine Ausrüstung ist auf den Punkt reduziert. Ein Rucksack mit Schlafsack ... Messer ... Waschzeug und etwas zu essen. Ein zweiter Rucksack soll irgendwo gut versteckt sein, den er nicht mit sich herumtragen mag. Die Sonnencreme hat er doch tatsächlich für mich mitgebracht und außerdem noch etwas zu essen. Ich freue mich sehr über diese gemeinsame Mahlzeit, obwohl meine Unsicherheit bezüglich seiner Person noch nicht gewichen ist. Domenico erzählt von sich, den Problemen mit seinen Füßen, einem festen Wohnsitz in der Nähe von Bordeux, den Problemen mit einer Frau ... spricht 5 Sprachen fließend und überrascht mich mit seinem philosophieschen Tiefgang. Wir finden einen Weg der Gemeinsamkeit in unserem Gespräch und sind uns recht einig über die wahrhaft wichtigen Dinge des Seins, während die feinen Sachen, die er mitbrachte unglaublich gut schmecken. "Ich habe Geld von meiner Mutter geschickt bekommen, deswegen können wir uns das hier leisten", sagt er. "Morgen oder Übermorgen werde ich mit dem Zug nach Hause fahren, um mir etwas Geld zu verdienen in der Traubenernte. Sollen wir heute Abend zusammen grillen?" ... FLEISCH!!!! ... schießt es mir in die Birne!!! "JA ... YES ... das machen wir:-) ... Anzünder und 'nen Grill habe ich ..." Nur wenige Momente später ist er wieder fort und abends plötzlich wie ein Geist wieder da mit feinsten Speisen. Die Sonne senkt sich bereits, als unser erstes Stück Fleisch in den Magen wandert und wir es uns richtig gut gehen lassen. So dermaßen vollgefressen wie an diesem Abend war ich bisher noch nicht auf dieser Tour. Die Gespräche mit ihm sind sehr interessant und seine Art verliert nicht an Mystik. Einerseits sehr offen und aber doch verschlossen signalisiert er fortwährend: Bis hierher lasse ich dich wissen ... weiter nicht. Als ich ihn das erste Mal sah, gab ich ihm einen Stempel. Ja, auch ich verteile Stempel ... man ist einfach nicht frei davon. Es war nicht der Richtige!!! ...einen Neuen habe ich noch nicht ... Meine Unsicherheit bezüglich seiner Person ist bis zur jetzigen Stunde nicht gewichen und manchmal denke ich darüber nach, ob es ihn wohl tatsächlich gibt ...

Heute ist Mittwoch, der 04. Juli 2012 Perello/Spanien

Mein Vater ist in der Nähe und wir werden uns heute sehen ... mir kommen immer wieder Tränen. Ich freue mich unglaublich darauf.

Andreas Gabriel steht vor den Toren des Atlantiks. Ob er Angst hat? Nein! Der Eine weiß, was der Andere kann, und gemeinsam werden wir das machen. Jedes Wasser hat seinen Moment - und ich werde ihn sehen.

Bis bald ...