Fortsetzung "Bugstrahl"

Ich drehe mich um und sehe Kavallerie mit Blaulicht und Bordposaune anmarschieren. Ein Schnellboot unter Volldampf ... die Nase des Schiffes in einer halben Meile Entfernung zeigt direkt auf meinen vorderen Mast ... das ist nicht gut ... nicht gut!!!! Ziehe vorerst einen Neoprenanzug als Tarnung über meine Bordkanone (Segler-Tip: Im Notfall kann man dann durch die Öffnung des Beines feuern)
Diese 70 Fuß Prolloplastikwanne der Marine unter die Wasseroberfläche zu befördern wäre für mich leichtes Spiel und doch entscheide ich mich für die Diplomatie als ersten Schritt. Trotz Tarnanzügen, erkenne ich geschultes Millitärauge, vier wild mit den Armen umeinander fuchtelnde Kämpfer der Küste. Mein Feuerzeug halte ich bei der Zündschnur der Bordkanone ... "Stop...Stop...Stop!!!!" Höre ich sie rufen, nachdem ihr Heck von der eigenen Welle einen Lupfer nach oben macht. Versuche meine Hand ruhig zu halten und denke "Ruhig Andreas, Wikinger hin oder her ... du bist nur auf der Durchreise!" Meine Kugel würde ihnen sämtliche Muscheln vom Billigantifouling putzen!!!
Da gurken da welche in Camouflage aufm Wasser rum, ich schmeiß mich weg. Türkisgrün in der Farbe des Wassers oder zumindest das Grau des Bootes und ich hätte sie nicht so schnell ertappt. "Naja ... Kriegsführung ist eben Handwerk", denke ich und hier im Süden ist sehen und gesehen werden eher angesagt. "6 miles outside!!!" Erst jetzt realisiere ich, dass ich soeben in ein aktives Schußgebiet der Marine hineingefahren war. Oha:-) Ich verweise auf meine Bootsgröße, die Nähe der Küste und internationales Kajakmaran-Recht, aber die Jungs sagen: "No ... follow us, 2 miles back ... 2 miles outside", lese ich ihnen von den Lippen und frage mich, ob denen der Helm brennt?! Ich will doch nicht nach Afrika ... ich will nach Rom. Sie geleiten mich aus dem Manövergebiet und ich gehe längseits unter Segeln. Fender ... Tampen ... kann nicht mal stehend über die Bordkante gucken und nehme nur einen Haufen Kampfstiefel vor meiner Nase wahr. Halt!!! Bis auf ein Fußpaar ... Badeschlappen!!! Blick nach oben ... freundliche Gesichter :-) ... Fotos ... lachen und Wasser gebunkert! Nachher war ich doch froh, nicht einfach nur wieder Mal drauflosgeballert zu haben, die waren echt nett und haben bestimmt auch Familie. Vielen Dank für deinen Einfluß, Mama :-) (Hör auf zu mosern Papa, man spricht heutzutage zuerst)

03. Juni 2012: Salivoli/Westküste Italiens

Der Tag war hart. Achterlicher Wind, aber viel Welle und Dampf ... das Wasser läuft mir aus den Ohren wieder raus ... bin fix und alle nach 10 Stunden. Salivolis Hafeneinfahrt bringt wieder einmal diese göttliche Ruhe ins Boot und Entspannung macht sich in meinem ganzen Körper breit. An der Einfahrt steht ein Schild ... "Alt!!!" Man ist uns Ausländern hier wohl etwas entgegengekommen. So viel Aufwand wäre das jetzt aber auch nicht gewesen, da noch ein H davor zu schreiben. Habe das Schild aber offiziell nicht gesehen und gehe in den Innenhafen. Irgendwo zwischen den großen Yachten erspähe ich dann auch schon den Hafenkampfhund, der sich mir diesmal allerdings auf einem Fahrrad präsentiert und nicht, wie gewohnt, in einem Tender. Muß wieder zurück zum Alt ohne H :-) Darf liegen bleiben ... mein nasser Bart weckt die Mutter in den Leuten und ich bin nur noch froh. Roberto, der sehr nobel wirkt in seiner Kleidung, bringt mir zwei Duschmarken. Man, was bin ich nur für ein Glückspilz. Der Spaß ist damit aber noch nicht zu Ende. Er und seine Jungs beschließen für mich an Bord zu kochen. Auf einem 30 Tonnen Kutter mit 2 Mercedes-Turbinen à 1200 PS. Ein Hotel ist ein Kindergeburtstag im Vergleich zu diesem Boot. Nur 2 Stunden später bereits finde ich mich wieder auf Leder und es macht lange "pffffffff" unter mir, als ich mich da genüßlich hineinpflanze.
So ... diese Nummer teile ich euch jetzt 1/1 mit:
1.) Martini im vorgekühlten Glas (mit Olive am Spieß, versteht sich) ... dazu frisches Brot mit Salami der Provence, Oliven aus eigenem Anbau.
2.) Pasta mit hausgemachter Soße, abermals Oliven, Parmesan ... ich krieg nen Löffel zum Nudeln aufrollen ... kenn ich so! Dazu Wein aus eigenem Hause :-) OOhhh lecker!!!
3.) Fromage zum Magen dichtmachen ... GORGONZOLA in für mich sonst unerreichbarer Größe stand plötzlich vor mir (Mein Außenborderdeckel ist auch nicht viel größer)
Da hab ich mich jetzt auch echt nicht lumpen lassen und war einfach mal frech :-) Mit der leeren Flasche des Sektes, die wir dazu tranken, hat sich der Skipper anschließend fotografieren lassen. Ich vermute, dass war kein Discounter-Fusel.
Das hier sind Momente ... Da küsst dich da Leben ... echt :-) ... echt jetzt :-) Rülps ... mehr muß man da gar nicht zu schreiben. Zufrieden und glücklich verschwinde ich an diesem Abend in meinem Zelt. Danke Jungs, verstehen werdet ihr kaum, was mir das bedeutet hat. Gute N8
Am Morgen darauf gelingt es mir, einen Skipper aus Tschechien beim Zähneputzen zu stören. Nach leichtem Zögern macht er mir heißes Wasser für meinen Nesskaffee und nur kurze Zeit später stellt sich dieses Manöver auf ein für mich fragwürdiges Podest. Mir hätte klar sein müssen, dass alles, was nur 5 km östlich von Berlin wohnt, kein Wasser in seinem Schiff bunkert, sondern Sliboviz. 6 Uhr 30 ist es, als sich meine Zunge rauf und runter rollt, als wisse sie gar nicht mehr wohin. Was mag der wohl gehabt haben? 70%??? Um halb sieben :-)) He he!!! Sehr Gastfreundschaftlich ... Danke!
Für einen Augenblick sitze ich mit diesem Kaffee noch in Ruhe vor dem Hafentower und bin eigentlich fertig zum Abflug. Bin voll weg in meinen Gedanken ... vor mir steht so ein elektrischer Golfwagen. Caddy, oder wie heißen die Autos, mit denen die übers Grün düsen? Darauf ein großer UK-Halsey Aufkleber. "Ja", denke ich..."du hast es geschafft."
4.300 Meilen hast du jetzt im Rücken ... du Herrscher und Befehlshaber des "Erdmann-Volkes" ... du einziger Träger des goldenen "Röttge-Ringes. In jedem Hafen dieser Welt haben deine tollen Segelmacher aus Flensburg einen dieser Wägelchen bereitgestellt, damit du nicht mehr laufen mußt." Schöner Gedanke ... ein Grinsen und der Biss ins trockenen Brot holen mich zurück ... es geht weiter Andreas :-) Abmarsch!!!

Ob ich wohl einer von ihnen bin? Ein Segler? Es ist eine eigene Welt, in der du lebst, wenn du von der Wasserseite aus kommst. Es ist herrlich in abendlichen, ruhigen Minuten zu beobachten, was Sein ist - oder Schein. Ich liebe es, die mit den "dicken Hosen" zu beobachten und freue mich mit ihnen über ihren Luxus. Eines Abends geht neben mir plötzlich und unerwartet im Hafen die Sonne unter. Kein Wunder: Ein Boot hat den Planeten verdeckt!!! Alter Schwede ... ich dachte ich guck nicht richtig. Die Maßeinheit Fuß wird mir plötzlich fremd und billig. "Kilofuß" schießt mir in den Kopf. Was mach die Kiste haben? 100 Kilofuß??? Und jetzt kommt der Hammer: Auf dem Vorderdeck steht EIN MANN!!! Ein Mann, dessen gesamte Potenz sich steuern lässt über eine Fernbedienung in der Größe einer Zigarettenschachtel. Ein Wahnsinn!!! Ich rufe zu ihm rüber und zeige mit dem Daumen nach oben ... wir müssen beide lachen ... herrlich :-) Die Geräusche seiner 500 Bugstrahlruder lassen mich nachdenklich werden und gedanklich loskonstruieren. Sowas will ich auch!!! 4 Mal 1500 - 12 Volt Fön in meinen Kajakmaran und ich bin der King in jedem Hafen.
Ooooohhh ... lass mich bloß wieder in meine Werkstatt :-)
Das kläglich laute Schlagen der Fallen anderer Segelboote habe ich auch schon versucht hinzubekommen, das ist aber wirklich nicht einfach, auf zwei Metern Mastlänge. Stahlseil hat nicht funktioniert ... 3 Tampen mit je 5 Stück 12mm Niro-Muttern sind auch immer nur am Mast vorbeigeweht. Schlußendlich habe ich eine ganze Nacht mit meinem Fasenprüfer im Takt der anderen Fallen und der Boen des Windes gegen den Mast geschlagen. Ich weiß nicht, ob ich auch jemanden wach bekommen habe ... aber ja ... ich bin einer von ihnen und gehöre dazu :-)

Heute ist Dienstag, der 05. Juni 2012, 5 Meilen östlich von Pisa

Mein Name ist Andreas Gabriel und ich bin Kapitän des Kajakmarans. Einem Boot, dass mich niemals im Stich lassen wird. Eine komplett irre Karre, die mein Zuhause geworden ist und eine Insel, die ich nach Hause bringen werde mit meinem dicken Fell und viel Humor.
Oft stelle ich mir diesen Moment vor, wie ich das Eidersperrwerk durchfahre.
Bis bald ... ich bin auf dem Weg.