Fortsetzung "Der letzte Tag - es ist zu Ende . . ."

Eidersperrwerk angesetzt. Der Wind füllt meine Segel aus Südsüdwest und es geht rasant los auf Kurs West. Ich muß erst 10 Meilen nach Westen, bis ich um die hohen Sandbänke und Schlickkanten herum bin. Erst dann geht es für ein paar Meilen nach Nord auf St. Peter zu und schließlich in meinem vertrauten Fahrwasser auf Ost-Kurs meinem Ziel mit auflaufenden Wasser und scharfer Brise im Nacken entgegen. Die 10 Meilen nach Westen, hätte ich an diesem Morgen gerne herausgeschnitten. Ab 7 Uhr beschleunigt der Wind auf über 20 Knoten, geht auf West und der Strom steht mir voll gegenan.
Ich versuche mich ruhig zu halten...schreie diesmal nur kurz: "Das ist doch Scheiße ... warum tust Du das? Das ist mein letzter Tag ... DAS IST MEIN LETZTER TAG!!!" Das Wasser läuft mir aus den Ohren wieder raus, diese verfluchte Sandbank und ihre kabbelige Brandung wollen einfach kein Ende nehmen.



Ob ich gut in der Zeit bin? Habe die Meilen nicht abgesteckt. Könnte knapp werden, verflucht nochmal. Irgendwann wird die Brandung plötzlich ruhiger ... die weißen Kappen überschaubarer. Jetzt gehe ich auf Nordkurs. Hab die Segel einen Moment zu sehr schlagen lassen ... hinten ist am Schothorn ein Bändsel gerissen, vorne hat es den Schotenblock zerlegt. Kriege die Wellen Stück für Stück achterlicher und flicke, was zu flicken geht.
5 Knoten ... 6 Knoten ... 7 Knoten ... Yes!!! That's it!!! Ja ... die Zeit passt. Bin eher etwas zu schnell und lasse mich im etwas beruhigteren Fahrwasser 5 Meilen vor dem Sperrwerk für einen Moment quertreiben, um zu überlegen ... mein Gefühl auszuloten. Das Fahrwasser geht im Zickzack ... "gehe auf Kurs, Andreas...dat passt, wie Faust aufs Auge!"



Ab jetzt schießen meine Tränen ohne Unterlass und ich will nichts mehr davon zurückhalten. "Du hast es geschafft, mein lieber ... Du hast es geschafft!!!"
Wie oft nur habe ich der See gesagt ... sie angeschrien, dass meine Zeit noch nicht gekommen ist. Meine Hand gleitet durchs Wasser und ich bin ihr dankbar ... fürchterlich dankbar, denn sie weiß es ... wir beide wussten es immer. So sehr wir auch gestritten haben.
Um 10 Uhr 13 klingelt mein Telefon. "Wo bist Du? Wir können Dich nicht sehen." - "Ich habe euch im Glas", erwidere ich. "Meine Karre ist ein Uhrwerk, bin gleich da."
Am Sperrwerk sind Menschen, ob die wegen mir da sind? Bernd, das alte Rauhbein, ist mit seinem Kutter da. Fernsehen an Bord, Kumpels und Freunde. Dieser Moment ist einer der Schönsten in meinem Leben. Meine Schwester und Familie, Sabrina mit großem Transparent, meine Söhne. Gehupe und Getöse ... bin überfordert und überwältigt.
Mit Hindernissen und einem müden Außenborder fahre ich in das Sperrwerk ein, an dem sich mittlerweile bei geöffneter Brücke eine riesige Autoschlange in beide Richtungen gebildet hat.



Auf der Eider hält Bernd etwas Abstand mit dem Fernsehteam und seinem riesigen Kutter.
Ich habe jetzt auf den letzten Meilen etwas Zeit für mich. Weine ... schreie ... repariere mein "Besan-Opti:-), damit ich unter Vollzeug einlaufe" und bin einfach nur glücklich. Unbeschreiblich glücklich, dass sich mein Bild der Ankunft in die Wirklichkeit verwandelt hat. Es ist jetzt fast zu Ende.
An der Einfahrt zum Hafen dann der absolute Vollhammer. Gefühlte 200.000 Menschen. Woooooow!!!!
Meine Mutter ... ich sehe meine Mutter ... krass!!! Sie hatte mir Tage zuvor telefonisch abgesagt, weil sie ihren Friseursalon leider nicht verlassen könne an diesem Tag. Ab 10 Uhr jedoch hat es in ihr angefangen zu brodeln. Sie hat ihren letzten Kunden einfach abgesagt ... alles stehen und liegen lassen, den Laden abgeschlossen und mächtig Gummi auf dem Asphalt hinterlassen.



Der Wind bringt mich bis vor all die Leute.
Tränen, gelache und gehupe. Ich habe mir diesen Moment oft vorgestellt. Doch so toll? So herzlich und überschwenglich?
Nein!

Rund Europa ist zu Ende und eine Familie hat zu mir gehalten, wie ihresgleichen wohl nur schwer zu finden ist.
Danke für alles. Ohne euch alle, hätte ich dieses Abenteuer nicht durchgestanden. Ich liebe euch sehr.

Tönning am 06. August 2013
Andreas Gabriel sagt: "over and out"