Fortsetzung "Cap de la Hague"

aus. Ich weiß, welche Kraft dort auf mich wartet.
Ich habe bereits meine dritte Nacht im Obergeschoß des Toilettenhauses verbracht. Niemand hate sich daran gestört und ich meine Ruhe und ein Dach über dem Kopf. Das schlechte Wetter scheint sich verzogen zu haben, doch was mich an diesem Morgen empfängt, ist Nebel. Der Hafen ist ruhig, kaum hört man die Geräusche der wenigen Fischer auf den Stegen, die mit unbändiger Ruhe scheinbar nichts anderes zu tun haben in ihrem Leben, als an den Fischernetzen herum zu fummeln. Sie winken ab, als ich ihnen erzähle, dass ich um das Cap will. Mit Händen und Füßen erklären sie, dass die Sicht an diesem Tag wohl kaum besser werden wird. Meine Stimmung ist ohnehin schon nicht gut. Ich habe einfach zu wenig menschliche Kontakte im Moment. Noch länger bleiben an diesem Ort? Nein ... ich muß mir was einfallen lassen!
Drüben auf der anderen Seite der Steganlage, machen sich drei "Musto-Jungs" fertig zum Auslaufen. Ich werde sie fragen, ob sie auch nach Cherbourg wollen und um Sichtkontakt während der Fahrt bitten, bis wir um das Cap herum sind. Sie fahren tatsächlich dorthin ... willigen ein, wenn auch nur spärlich. Der Skipper guckt etwas überrascht, als ich meine Yacht von Steg 1 direkt vor ihr Boot verfrachte. Sie hatten meinen Zweimaster vorher doch tatsächlich nicht gesehen. "Damit willst Du um das Cap? Wir geben Dir unsere Handynummer und sobald Du ein Problem hast, lässt Du von Dir hören, ok?" Die Männer sind nett, wir trinken noch einen Kaffee zusammen, bevor es los geht und ich erzähle nur kurz von meinem Abenteuer.
Ich bin vor ihnen aus der Hafeneinfahrt raus und habe beide Segel auf. Der Wind kommt vorerst nur schwachwindig, aber er hilft mir zumindest. Nach einer Stunde ist die Sicht etwas besser geworden. Aus Nebel wird schlechte Sicht und der Wind legt etwas Kohle auf den Grill. Es geht los. Ich kann das Wellenwirwarr bereits mit dem Fernglas erkennen und bin eigentlich zu dicht dran, aber was soll`s. Dieses Boot hat so vieles geschafft. Es wird auch das hier überstehen. Die Segelyacht mit meinen Drei Freunden ist kaum noch zu erkennen. Ich weiß nicht, wie weit sie von mir weg sind und mir fällt ein, dass sie etwas von "an den Segeln zerren" erzählten, was soviel heißt wie: "Wir werden Gas geben." Anscheinend ist es nun soweit. Die Bojen der Fischernetze werden unter Wasser gezogen, die Strömung demonstriert ihre unglaubliche Macht.


Hervehs Restaurant. Die einzige Chance auf etwas Essbares

Manchmal ist es besser, wenn man keine Bojen sieht ... nichts, woran man erkennen kann, was sich unter einem abspielt. Meine Geschwindigkeit geht auf über 10 Knoten ... ich bin da. Die Wellen fangen an zu springen. Aus allen Richtungen scheinen sie nach meiner Karre greifen zu wollen. Schnell und kraftvoll entstehen sie wie aus dem Nichts und rollen einfach auf mich zu. Das Boot ist wie ein wildes Pferd, das sich einfach nicht zureiten lassen will. Jede dritte Welle ist so schnell und kraftvoll, dass sie über mir hereinbricht. Wie an einer Schnur gezogen ist es nach zwanzig Minuten urplötzlich wieder ruhig und man kann das Ende der wilden Wellen kommen sehen. Es war nicht ganz so schlimm wie die Sandbank vor Royan, aber jeden Tag muß ich hier auch nicht durch. Mit meinem Kurs nach Westen ist der Spuk vorbei und ich bin drüber. Der Wind hat zugelegt auf 4 bis zum Teil 5 gefühlten Beaufort ... die Karre geht ab wie ein Ferrari.
Spät nachtmittags kommt die Einfahrt von Cherbourg in Sicht. Erst als ich die Masten der vielen Segelyachten im Hafen fast auf Griffweite habe, packe ich die Segel ein. Die Gendarmerie ist mit einem Tender bei mir und beobachtet mein tun. "Eine Fähre wird gleich kommen, Du musst hier verschwinden", rufen sie zu mir herüber, während ich vom Boot abrutsche und mich nur noch so eben festhalten kann. Sowas blödes. Sowas passiert auch immer nur, wenn man beobachtet wird. Meine Beine sind nass bis an den Hintern.
Bei meinem Blick nach Achtern fällt mir ein Segelboot auf, das auch in den Hafen kommt. Hinter mir!!! Ich wiederhole: Hinter mir. Die drei "Segelzerrer" ... die "Mustojungs", die mich draußen scheinbar versägt haben, stehen mit Daumen nach oben hinter mir an Deck und lachen. Ha Ha, ich war schneller. "Ich Ausnahmetalent ich", geht es mir grinsend durch den Kopf.
Ein Ausnahmetalent ... ja so etwas wäre ich gern.
Tage später geht diese Wunschtheorie jedoch wieder den Bach hinunter, als ich in Holland Delfzijl mit Kurs Norderney verlasse. Meine navigatorische Vorbereitung ist an diesem Morgen eher "maritim insuffizient". Zielkoordinaten ins GPS eingeben und Abflug ... im Wattenmeer natürlich nicht ausreichend. Aber rutscht mein Boot nicht überall drüber? Den Strom wollte ich ausnutzen, doch die Brühe läuft hier von allen Seiten in meine Richtung und es geht nur gegenan.


Netter Empfang in Cherbourg

7 Meilen noch bis Norderney und ich kann kein Fahrwasser erkennen. Auf Höhe Norddeich läuft mir plötzlich der Kram unterm Hintern Weg und meine Schwerter schlagen hoch. Grundsicht ... Wasser nur Knöcheltief. Mist!!! Segel hoch und mit Wind und Wasser zurücknehmen lassen. Irgendwo vor Norddeich hatte ich 4 grüne Tonnen unter Land gesehen ... die führen sicher irgendwo hin. Diese 4 Tonnen führen auf einen Priggenweg unter Land nach Norddeich, dass ich an diesem Abend nicht mehr erreichen soll. Gegen den Strom geht es im Priel so lahmarschig vorran, dass ich jeder Prigge einen Namen gebe und mit ihr das Diskutieren anfange. Um 18 Uhr muß ich aus dem Boot raus und schieben ... um 18 Uhr 30 ist das Wasser schließlich unter mir weg. 2,5 Meilen vor Norddeich. In 500 Metern Entfernung liegt ein Holländer auf dem Schlick. Er hat sich trocken fallen lassen, um seine Ruhe zu genießen. Damit ist jetzt Schluß, denn ich bin auf dem Weg zu ihm. Es gibt Kaffee und eine heiße Suppe, aber man bittet mich nicht an Bord. Ob das mit meinen Füßen zusammenhängt?
"Das Wasser kommt bald wieder, Du wirst Norddeich noch im Tageslicht erreichen können", schätzt der fliegende Landesnachbar. Um 20 Uhr stapfe ich zurück zum Boot. Der ablandige Wind lässt mich Stimmen hören. Im Fernglas erkenne ich ein Freiluftkino und viele Menschen, die sich auf einem Strand aufhalten. Da werde ich bestimmt ein Bier ergattern können später. Ich stehe neben meinem Boot im Schlick. Es wird dunkler und dunkler. Ich glaube, dass ich es nicht mehr in den Hafen von Norddeich schaffen werde, aber vor der Freilichtbühne am Strand ist soetwas, das aussieht wie eine Slipanlage. Das kann ich ja auch in der finstersten Nacht noch draufzusteuern. Genügend Landmarken also, um mich zu orientieren.
Während ich mit Sabrina telefoniere, fängt es, begleitet von Starkwind, an zu regnen. Es ist jetzt Stockdunkel und eine Stimme ertönt vom Land: "Vielen Dank für Ihren Besuch...", die Leinwand erlischt. Eine Landmarke weniger ... kein Bier ... so also der neue Plan. Dafür bin ich jetzt klitschnass, das ist doch auch schonmal was. Um 11 Uhr 45 in der Nacht kommt das Wasser zurück. So langsam, dass meine Geduld ihr Ende recht schnell findet und ich wieder über Bord hüpfe. In 40 Zentimeter tiefem Wasser, 2,5 Meilen in stockfinsterer Nacht durch das Watt laufen und ein 350 Kilogramm Boot am Gürtel hängen haben. Super ... was für ein sinnliches Unterfangen!!!
Irgendwann vor dem Strand, der keiner ist, funzelt eine Taschenlampe wild durch die Gegend und ich bin mir ziemlich sicher, dass es sich hierbei nur um einen Sicherheitsdienst handeln kann, der das Gelände von Freilichtkinobesuchern befreit. Das Wasser ist tiefer geworden ... ich schmeiße meine Turbine an und der Mann mit der Lampe scheint schreckhaft. Sein Lichtstrahl sucht das Wasser ab und findet mich schließlich. "Hey Ho", dröhnt meine Stimme aus dem Dunkel der Nacht ... "Pommes Majo und 2 Frikadellen bitte." Dem jungen Sicherheitsbeamten erstarrt das Blut. Oft schon hatte er in in seiner Nachtschicht darüber nachgedacht, wie es wohl sei, wenn plötzlich etwas von der Seeseite auftauchen würde. Nun wusste er es:-)

Immer war ich auf dem Weg nach Hause und bin es auch noch. Mit unbändiger Kraft und vollem Herzen, Heimweh und Sehnsucht. Kaum etwas hätte mich aufhalten können auf meinem Weg zurück. Oft habe ich geweint, weil mir meine Lieben sehr fehlten. In den letzten 2 Wochen passierte es immer öfter ... doch diesmal aus einem anderen Grund. Dieses Abenteuer ist und wird für immer wundervoll bleiben. Ich bin kurz vor meinem Zuhause und ich weiß, dass etwas ganz Besonderes dem Ende entgegen geht.
Jetzt, am Samstag dem 03. August 2013, ist es endlich soweit. Um 10 Uhr 30 werde ich in unser Eidersperrwerk einlaufen und 7.800 Seemeilen in meinem Rücken haben. Mit einem Boot, das seinesgleichen sucht. "Vielen Dank meine Karre ... Du hast mich am Leben gehalten."

Büsum, am 31. Juli 2013
Meine Karre ist jetzt fast Zuhause.
An der Wasserfarbe kann ich es sehen und ob man es nun glaubt oder nicht. Ich rieche meine Heimat!!!