Fortsetzung "Panik"

doch einfach um. Sieh dich als Fotokamera, dessen Objektiv urplötzlich den Geist aufgibt. Dein über die Jahre eingefahrener Blickwinkel ist auf einmal schrott? Du hast ihn doch so gehegt, gepflegt und staubfrei gehalten. Hopp Hopp ... neues drauf!!! Mit deinem neuen Blickwinkel gehst du schnurstracks in die nächste Kneipe, erzählst dem Wirt dein Problem. Das Erste, was du bekommst, ist ein Bier. Lache und sprich zu dir selbst: "So ... ne Basis hätten wir dann Mal!!!" :-)
Im Grunde ist es genau das, was ich mache. Jeden Tag, an dem ich unterwegs bin. Ich reagiere stündlich neu auf das, was mir widerfährt und das durch ein jenes verstaubtes Objektiv, durchaus als mittelschwere Katastrophe erscheinen wird. Sinnbildlich benutze ich tausende von diesen Objektiven, die meine Sichtweise täglich neu auf jeweilige Situationen einstellen. Gewiß, es ist unsagbar anstrengend ...,


Irene, mein Erstkontakt im Hafen von Laredo

so anstrengend dass ich mich nicht einmal mehr daran erinnere, ob ich meine Psyche und meinen Körper jemals in meinem Leben so schonungslos auf die Probe gestellt habe. Doch was sich mir zeigt, ist fantastisch und genau dafür werde ich nicht aufgeben. Es sind so viele Tage, an denen ich bis zu den Knien in der Scheiße stehe, doch aufhören zu lachen? ... kein Bier mehr bestellen? Nein ... Niemals!!!
Ein Abenteurer wollte ich immer gerne sein ... ein verrückter Hund. Ja, wollte ich denn verflixt nochmal auch jemand sein, der zu sich selber findet? Nein :-) Und doch aber passiert es, verdammich!!! Unweigerlich und unaufhaltsam. Du bist da draussen auf dem ruppigen Atlantik, pinkelst Dir wieder einmal aus Versehen über deine Klamotten und denkst nach, über alles, was sich dir bietet.
Vorurteile ... Gedanken ... Interpretation ... Gesellschaft ... Rechtfertigung ... Selbstbewusstsein ... Mut ... Vertrauen ... Nachsicht, Vorsicht, Übersicht, die Bedeutung von Wörtern wie Glück oder Zufall, Hoffnung oder Glaube.
Irgendwann ... ja, irgendwann fängst du in Selbstgesprächen sogar an, sie zusammenzubauen, ihre Bedeutung füreinander logisch zu erklären ... auszusortieren. Gleich einem Uhrwerk ... ein Zahnrad in das Nächste ...


Stimmung vor Laredo

Mittwoch, der 3. Oktober 2012: Ansteuerung Laredo/Nordspanien

Es waren nur 20 Meilen heute von Santander rüber, unter wolkenverhangenem Himmel, der in diesen Tagen immer mehr und mehr an meinen Himmel in Tönning erinnert. Die See ist ruhig und doch scheint sie sich zu verändern. Nichts entgeht mir mehr...keine Wolke ... keine Welle. Die Farben scheinen ihren Glanz zu verlieren und ich beobachte die Biskaya wie ein Wolf, der vor einem Bär steht, um genau abzuwägen, was für ihn zu holen ist. Bereits vierzig Meilen zuvor haben mir Segler erzählt, dass die Marina in Laredo sehr besonders sein soll. Neu, groß, enorm viel Stauraum unter Dach und ein freundliches Management, sollen hier zu finden sein. "2,5 Meilen" zeigt mein GPS und ich gehe an die Küste ... dort hinter dem Felsen muss die Einfahrt sein. Eine große Bucht tut sich vor mir auf ... von der Ansteuerungstonne aus geht es auf Kurs Süd. Mein Gefühl im Magen wird schlecht, ich kann das Hafenmauerwerk durchs Fernglas erkennen ... Tränen schießen mir aus den Augen. Alles in mir weiß,


Mit Pedro beim Boote entsalzen

dass es heute vorbei ist. Schluß für 2012!!! Ich liebe dieses Boot so unendlich, dass ich mir all das, was nun folgen soll, nicht vorstellen kann. Sabrina kriegt ne SMS: "Ich muss auf deinen Arm ... ist bei uns alles so, wie es sein soll? Habe Angst nach Hause zu kommen." Sie ruft mich an um mir grünes Licht zu erteilen ... nimmt mir etwas Druck. OK!!! Wie eine kontrollierte Wasserleiche propellere ich in den Hafen bis an einen Steg, der mir für meine letzte Anlandung gerade gut genug erscheint. Als meine Hand den Steg berührt, tut sie es auf eine besondere Art. Selbst sie weiß, dass es richtig ist, was ich entscheide. Ich spüre meine Müdigkeit überall in meinem Körper und mein Kopf sackt für einen Moment nach vorne. Ohne Geld Meilen zu machen, ist das Eine, dabei den Atlantik und die Biscaya auf "Gegenankurs" zu bezwingen, das Andere und unfassbar kräftezehrend in meinem Spiel.


Hallenplatz

Mein Kopf hebt sich und der Blick in die Runde ... das große Glasgebäude dort hinten muss die Hafenverwaltung sein. Entschlossen halte ich meine Papiere in den Händen und laufe los. Ein gestrandeter, dreckiger, vollbärtiger Mann der nichts besitzt, marschiert jetzt einfach los, weil er sich für etwas entschieden hat ...
Als erstes treffe ich im zweiten Stock des wuchtigen Bürogebäudes auf die nette Irene hinter ihrem Schreibtisch ... bin ganz ruhig und erkläre ... nach 6 Minuten rechnet sie auf ihrem Taschenrechner ... "8 Monate, soll dein Boot hier liegen?" ... Antonio, der Oberboss kommt dazu ... "Der zahlt hier gar nichts!!!" ... jetzt sind doch tatsächlich schon 16 Minuten vergangen. Antonio und Pedro, die Exekutive der Marina, stellen sich hinter mich ... "los gehts mein Freund, bereiten wir alles vor!" Am Abend sind bereits die Masten runter ... das Boot leergeräumt, Sabrina und mein Freund "Doc" lassen Zuhause ihren PC rauchen.
Zur Erinnerung: Es ist Mittwoch, der 3. Oktober 2012 ...
Am Freitag, dem 5. Oktober 2012, spüre ich nachmittags plötzlich die Haut meiner ganzen Familie


Freitag um 15.00 Uhr: Der Bart ist ab!

Heute ist Dienstag, der 9. Okzober 2012

Mein Körper sackt etwas in sich sich zusammen, und ihm ging es gestern nicht sehr gut. Zu unterschiedlich sind diese Welten, zu rasant der Übergang .... anscheinend benötigt er etwas Zeit. Hier bin ich plötzlich sicher ... warm und trocken. Es ist eine Tiefenentspannung hier, die ich gar nicht mehr kenne ...
Meine Gedanken sind hier ... da draussen ... holen wir uns das Finale 2013!!!


Sab, Nils und Torge holen mich vom Flughafen ab