Fortsetzung "Instinkt"

nass zu werden. Der Außenborder läuft ... zähle die Wellen ... 1, 2, 3 bis 6 ... eine kleine hinterher... los Meister! ... JETZT!!!! Rauf auf das Boot und Vollgas. Hat gut geklappt, Juchhuu!!

Rein in die Klamotten und weiter gehts. Ohne Positionen in meinem GPS bin ich heute in Richtung Taranto unterwegs in die Zivilisation. Mein Wasser und auch meine Essen sind fast am Ende. Obwohl man eine Stadt dieser Größenordnung kaum übersehen kann, ärgere ich mich ein wenig über meine fahrlässige Vorbereitung. Nach 8 Meilen umfahre ich ein weit vorgelagertes, sehr millitärisch aussehendes Kap. Radarantennen ... alles bewacht und eingezäunt ... Bin ich zu dicht dran, ich ewiger Spion ich? Wieder eine Lautsprecherstimme !!! Diesmal allerdings auf Italienisch. Für mich aber alles kein Thema, bin ja schon 7 Tage hier. Übersetze in rasender Geschwindigkeit ins Hessische: "mach disch hiä vom Aggä, du Nussscheel". Natürlich muss ich grinsen, aber wohl ist einem irgendwie nie bei solchen Aktionen.

Ein Boot nähert sich mit rasender Geschwindikeit ... Oha! Ne ... düst vorbei :-) Puuhh, wohl alles gut. Da! Taranto ... Oh mein Gott ... Riiiieeesig tut sich da eine Stadt, weit zurückgelagert in einer Bucht, auf. In meinem Glas sehe ich Tanker, Frachter, ätzend viele Beladungskräne, hunderte roter Bojen und komische gelbe mittendrin. Zudem läuft anscheinend durch die ganze Bucht parallel zum Festland ein Felsengürtel. Für mich ein unergründbares Seezeichenspektakel, mystischer Art. "Da fährst du nicht hinein, da findest du weder rein noch wieder raus!" beschließe ich spontan. Dann lieber verhungern und verdursten.

Der Wind hat jetzt etwas zugenommen, während ich witzelnderweise, in Selbstgesprächen versunken, einen Slalomparkuhr (kleines Wortspiel muss erlaubt sein :-) durch den Bojenwald veranstalte. Eine Besonderheit ist mir aber natürlich nicht entgangen in diesen Momenten. Es ist nicht nur der Wind, der mich horchen lässt. Auf den Wellen haben sich kleine Krissel gebildet. Sie sind eine Vorbote. Ein Vorbote für etwas hier draussen, dass nicht normal ist. Ich werde etwas unruhiger ... sehe eine weitere Stadt im Fernglas. Schätze die Entfernung auf 10 Meilen ein, jetzt um 12 Uhr 30. Die Tage sind jetzt bereits sehr kurz und die Sonne verschwindet ab 16 Uhr. Ich muss jetzt schnell sein und entschlossen vorgehen, für ein sicheres Nachtlager.

Meile für Meile nichts in meinem Glas, nur steile Strände und viel Brandung. Oh Gott, die Stadt auf die ich zusteuerte, war keine! Eine Hotelkette mit ebenfalls nur Strand und hoher Brandung. Wat nu, Meister? Wat wat wat? Oha, da! Rechts ("Steuerbord" für Delius-Klasing Terroristen), eine Brandungsmole. "Das guckst du dir erstmal an!" Nach 1,5 Meilen bin ich bei ihr und was ich sehe, ist nicht sehr einladend.

14 Uhr ist es jetzt, fahre weiter. Sehe ein Boot mit zwei Tauchern in meinem Fernglas. Frage die Beiden, wie weit es bis zum nächsten Hafen sei ... "kein Hafen", so die Antwort. Meine Frage, ob ich denn dort hinter der Mole irgendwo hineinfahren könne, verneinen die Beiden energisch. Fahre wieder weiter ... aber nur eine Meile. "Du musst zurück und hinter diese Mole, Andreas!" Lieber ein wenig Brandung hinter einer Mole, als unkontrollierbares Wellenwirrwar, an irgendeinem Strand. Gehe im Halbschutz der Mole auf den Sand für einen Lagecheck - und was sich mir auftut nach zwei Minuten Besichtigung, ist ein Paradies für schutzsuchende Kajakkat-Kapitäne. Ein alter versandeter Hafen mit "Dreikammer-Schutzsystem"!!!

HALB GESCHÜTZT -- GUT GESCHÜTZT -- ENTENTEICH.

Just in dem Moment, in dem ich mich erstmal für die zweite Kammer entscheide, ist er da, der Grund für die Krissel auf dem Wasser: DER SIROCCO!!! Dieser schnelle, gefürchtete Südwind mit der genauen Bezeichnung: Sirocco GT 8 Turbolader mit Lachgasdirekteinspritzung. Innerhalb einer Stunde, verwandelt sich meine Moleneinfahrt in das Tor zur Hölle, ein Wahnsinn.

Warum ich draussen umdrehte, um doch hier Schutz zu suchen? Ich denke, dass es Instinkt ist, der sich unglaublich ausprägt, wenn man 6 Monate auf dem Wasser unterwegs ist. Ich war mir im Klaren darüber, dass der Moment kommt, in dem das Meer zu mir spricht und sagt: "Ich habe den längeren Arm mein Freund, siehe dich vor." Dass dieser Moment jetzt schon kommt, überrascht selbst mich ein wenig. Ich hatte ihn zwischen Norditalien und Marseille erwartet.

Das Meer bringt dich, es warnt dich und es vernichtet dich, wenn du nicht siehst.

Ein guter Bergsteiger sieht eine schräge Wolke am Himmel und denkt sich: "Nö, heute besteige ich mal wat anderes". Ich bin ein guter Bergsteiger, denke ich und vor mir liegen jetzt zweierlei Optionen auf dem Tisch: Entweder ich organisiere mir hier ein Winterlager bei netten Menschen, fege 200000 Quadratmeter gegen Kost und Logie (ein wenig schnöde, die Vorstellung) ... oder aber ... ich stelle mich jetzt mit drei Taschen an die Strasse und trampe nach Hause.

Schreibe das erste von meinen zwei angestrebten Büchern, bereite einen oder mehrere Vorträge über diesen ersten Teil vor und küsse meine Kinder täglich von Kopf bis Fuß. Wer solch wunderbare Kinder hat wie ich, weiß, dass diese beiden Optionen in keinem Verhältnis stehen. "Zeit" ist mir wichtiger denn je, sie sinnvoll zu nutzen ebenfalls. Meine Geschichten leben von der unplanbaren Überraschung. Eine Entscheidung ist gefallen!!!

Heute ist Montag, der 07. November 2011 - Verde Mare, Süditalien

Jungs, räumt eure Bude auf, Papale kommt nach Hause!!!
(ich weiß zwar noch nicht wie, aber mit 12 Euro und immer noch 5 Schuß Notsignalmunition wird sich wohl was regeln lassen).

Wenn das Netz helfen kann ... mein Tele hängt am Bauch. 004915772378963 - Attacke!!!