Fortsetzung "Europa"

Still grinse ich etwas in mich hinein und denke darüber nach, was es wohl für ein Bild sein möge, dieses kleine Boot in dieser Situation von oben zu sehen, mit einem bärtigen Kapitän, der auch noch eine Pampelmuse auspellt :-) Der Himmel ist grau und wirkt bedrohlich, zwischendrin regnet es. Ich liebe es nicht in diesen Situationen pinkeln zu müssen und doch aber noch weniger, es einfach laufen zu lassen. Nicht sehr oft, aber manchmal doch, entsteht in meinem Kopf die Frage: "Was um Himmels Willen, machst du hier?" Fünfmal muss ich auf diesen 17 Meilen aus meinen wasserfesten Klamotten, um dieses urinale Gefühl der druckvollen Hilflosigkeit abzuwenden. Den Wellen scheint es ein Spaß zu sein und sie erwischen mich ein jedes Mal in dem Moment, in dem ich mich meiner Jacke bereits entledigte.


Karre in Carino

Voller Schadenfreude, scheinen ihre Wellenspitzen im Wind zu springen, nachdem sie meine Fleecekleidung im richtigen Moment erwischten. Ich schreie wütend: "Das gefällt euch, he? ... daaas gefällt euch, he? ... Ich habe euch nichts getan ... NICHTS!!!" Meine Stimmbänder werden kratzig und ich weiß, dass es wieder einmal zuviel war. Nach scheinbar endlosen Meilen, am Eingang der Bucht, runde ich die riesigen, vorgelagerten Felszinnen, an denen das Wasser auf beeindruckende Art und Weise hochdonnert. Kurs Süd in die Bucht hinein, es wird kaum ruhiger ... kriege die See jetzt achterlicher und muss schon wieder ... das darf doch einfach nicht wahr sein. Das Boot liegt gut im Kurs, jeder Handgriff muss sitzen ... zum pinkeln muss ich meine Sicherheitsleine mit der Rettungsweste ablegen. Breitbeinig


Auf 600 Metern Höhe - da bläßt einem die Matte weg!

wird gekniet ... das Boot geht aus dem Kurs ... "Rooooosch!!!!" ... Klitschnass!!! Ich werde noch wütender, jetzt kriegt meine Karre ihr Fett weg: "Weißt du, was ich dir schon immer mal sagen wollte? Manchmal bist du eine Pisskarre!!!! Eine richtige PISSKARRE!!!", ertönt es noch 37 Oktaven höher, "Bin ich nicht schon nass und kalt genug?" Ohne ein Lächeln passiere ich die letzten 2 Meilen auf die Hafenmauer zu und denke darüber nach, wie ich den Fischern ihre blöden Pissbojen abschneide!!! Bis zur grünen Einfahrtstonne war in meinem Kopf kein gedankliches Wort mehr ohne Piss ... Kack oder Dreckzusatz!!! Durchgefroren ist jeder Meter des Suchens nach einem geschützten Platz im Hafen einfach nur zuviel. Der Ponton ist voller Angelboote ... gehe zwischen den Moorins durch an die Kaimauer ... erstmal. Shakehands an der Betonkante ... raus aus den nassen Klamotten. Alles lacht, als ich nackig vor ihnen stehe. Mein Lächeln kehrt zurück. Alles ist vergessen. Ich liebe das Meer ... jeden Tag ein wenig mehr!! Wisst ihr was? Ich hab sie nicht alle!!!


Mein Freund Santiago, der Fischer

Der Morgen danach ...
Santiago und ich haben meine Karre noch gestern Abend auf Mooring gelegt. Mein Schlafplatz in seiner Fischereihalle war purer Luxus in dieser Wetterlage. Sogar einen Waschraum mit warmer Dusche und Klo ist hier zu finden, aber ich hätte nicht einmal mehr die Kraft gehabt den Duschkopf in seine Halterung zu stecken. Zum ersten Mal auf dieser Reise empfinde ich ein kränkliches Gefühl. Meine Stimme ist beschädigt und dieser feuchte Schlafsack in der etwas zugigen Halle B9, war wohl doch ein wenig zuviel des Guten. Dieser junge Fischer spricht kaum Englisch...wir unterhalten uns schließlich in seinem Zuhause am PC mit Übersetzungsprogramm und ich erzähle, bis seine Aufnahmefähigkeit seinen Zenit erreicht hat. Wir essen gemeinsam, was er so mühevoll fing. Calamares in allen Variationen...


Einen musste ich essen ...

mmmhhh sehr lecker, die Dinger in Paniermehl. Wow!!! Um die "nichtausgenommene Variation", die auf dem Teller noch in ihrer eigenen Tinte schwimmt, versuche ich einen diplomatischen Bogen zu schlagen, komme aber letztendlich doch nicht drumherum. Was für ein netter Kerl!!! Er kauft für mich ein ... Essen, Benzin, Öl ... wir machen den Ölwechsel meines portugiesischen "Kampfquirls" gemeinsam, schießen Fotos von der höchsten Klippe Europas und verbringen einen schönen Tag in seiner Bude, in der ich auch seine Freundin Cristina kennenlerne.
Das Wetter wird jetzt härter, ich bin etwas entkräftet irgendwie ... denke über eine Unterbrechung nach ... jetzt? ... ich weiß nicht. Ich werde dieser europäischen Traumgeschichte einfach nicht müde. Mein Körper ja ... mein Kopf nicht. Ich sollte vorsichtig sein und auf meinen Körper aufpassen ... auch auf ihn hören. Schon zu oft habe ich erfahren, dass mein Kopf eine Maschine ist, die sich nur schwer aufhalten lässt. Ein Körper dazu, ist jedoch nocht nicht entwickelt worden :-)


Ein wunderschöner Ausblick


... und noch einer


... na gut - einer noch . . .

Vieles geht mir durch den Kopf ... hier ... in einer der schönsten Landschaften meiner Reise ... am Tisch zwischen den alteingesessenen Fischern ihrer Stammbar. Ungewaschen komme ich mit zerzaustem Haar am Morgen des 22ten hinzu und entscheide mich nicht für den letzten freien Tisch. Nein ... ich setze mich zu ihnen. DAS ist meine Reise. Es ist nur eine kleine Geste, den Menschen zu zeigen, dass man zusammen gehört. Es ist ein Blick ... ein Lachen ... Händeschütteln. Nach meinem ersten Kaffee wird es ein wenig still am Tisch und mir entfleucht die Melodie eines wunderschönen spanischen Liedes, dass man mir im Süden so eindrucksvoll auf einer Quetsche präsentierte ... man lacht ... gemeinsam summen wir die Strophe zu Ende. Das ist es Leute ... DAS IST ES!!!!!


Immer wieder neue Freunde auf meiner Reise

Ich glaube nicht, das ich es nur alleine fühle ... ich glaube, dass diese Idee, dieses Boot und mit ihm ein verwachsener, lustiger Waldschraat, Europa in der Größenordnung eines Millionärs ... zu einem Pfennigstück zusammen bringt.
Ich wünschte mir, dass wir uns alle irgendwann einmal wiedersehen könnten. Danke Europa, dass du mir jeden Tag zeigst, dass ich zu Dir gehöre. Danke!!!

Carino am 20.092012

Ich werde es höchstwahrscheinlich nur schwer schaffen, in diesem Jahr durch das Eidersperrwerk zu fahren. Zuviel ist unterwegs passiert, was den Zeitplan hat korridieren lassen. Aber ich sage euch etwas in allerhöchster, verbaler Kapitänsqualität: Das ist "Pissegal" :-)
Vielleicht SOLL diese Geschichte niemals enden!!!


Das ist ein Bild für ein europäisches Thema